Color People Interview
Martin Minde, Farbkunst
Martin Minde (geb. 1940 in Königsberg) arbeitete nach seiner Schulzeit zunächst als Maler und Restaurator. Das anschließende Studium der Bildenden Künste schloss er als Meisterschüler ab. Seit 1973 arbeitet er als freischaffender Künstler und hält zahlreiche Vorträge im In- und Ausland.
Er hat eine eigene “Farbformlehre” entwickelt, ein riesiges Werk der Gleichabständigkeit der Farbnuancen, aus dem eindrucksvolle Werke hervorgehen. Viele sind als Computergrafiken angelegt – hierbei werden zur Farbvariation nicht die üblichen Algorithmen angewendet, sondern eigene Regeln, die Minde auch programmiert hat. Andere Werke legt Minde in Öl an.
Minde lebt in München.
Fragen an Martin Minde
Herr Minde, was begeistert Sie so sehr am Thema Farbe, was treibt Sie an?
Wenn man nach vierzig Jahren fast ausschließlicher Beschäftigung mit Farbe immer noch wesentlich Neues entdecken kann, so muss einen das einfach erstaunen, ja zur Verwunderung darüber führen, was uns der Schöpfer alles in unseren Augensinn gelegt hat.
Welches prägende Erlebnis verbinden Sie mit Farbe?
Von entscheidender Bedeutung für meine Berufswahl war für mich die Begegnung mit Vincent Van Gogh über – ich muss lachen, wenn ich daran denke – eine Kunstpostkarte eines seiner Selbstporträts, über das ich als Hausaufgabe eine Bildbeschreibung verfasste, bei deren Verfertigung der Funke übersprang.
Dass ich dann später das Glück hatte, Reimer Jochims und Meyer-Speer zu meinen Lehrern haben zu dürfen, ebnete dann den Weg zur Realisation. Zu meinem hoch geschätzten Initialzünder wurde Reimer Jochims übrigens, als er mich mit den zornigen Worten, ich sei “dumm” hinauswarf, als ich ihm nach dem Studium erste, wie ich meinte, bedeutsame Bilder, zeigte. Nein, so wollte er mir wohl zu verstehen geben, ich brauchte keine Belobigung einer Autoritätsperson, sondern konnte auf eigenen Füßen gehen lernen.
Welches ist Ihre Lieblingsfarbe und warum?
Meine Lieblingsfarbe ist die gestaltete. Ich verbinde damit die Einheit von Form und Farbe, in der alle visuellen Phänomene gründen und ihre menschliche Bedeutung erlangen, vorzüglich diejenigen, die mir neu sind und nach denen ich ständig Ausschau halte.
Einheit von Form und Farbe – wie ist das zu verstehen?
Die Einheit von Farbe und Form wurde mir im Zusammenhang der Bildung von Farbbewegungen klar, die ich in Harzölfarben ausführte: ein und dieselbe Bewegung von Weiß nach Schwarz über neutrale Zwischentöne war auf zweierlei Weise zu realisieren. Entweder man arbeitete mit einer gleichabständigen Stufung von Farben in kleiner werdenden Flächenabständen, die man dann ineinander “vertrieb”, oder man trug in eine Folge gleich breiter Flächenstreifen Farben kontinuierlich größer werdender Helligkeitsunterschiede ein. Da ich mit vorgemischten Tönen arbeiten wollte, die sich in gleicher Weise eigneten, sowohl zum Dunklen wie zum Hellen hin beschleunigte Bewegungen zu gestalten, wählte ich die erste Methode.
Diese gezielte Modulierbarkeit von Farbstufen in ihrer kompositorischen Beweglichkeit ist zugleich die Ursache einer von allen Systematikern geforderten Gleichabständigkeit farbkörperlicher Ordnungen.
Bevor ich dazu kam, ein durchweg gleichabständiges System farbiger Ordnung zu bilden, entdeckte ich, dass man beliebig auf die Fläche geworfene Farben durch die Art, wie man sie in speziellen Bewegungen mit einander verband, in die Form des Nebeneinanders in der Bildebene bringen konnte. Das war nur dadurch möglich, weil flächige Formen mit formalen Relationen zwischen den Farben (kleiner/größer werdender Farbabstände) untrennbar zusammenwirkend in eine gezielte räumliche Ordnung gebracht werden konnten.
Es war damals für mich überraschend, dass auf diese Weise auch ein darstellerischer Inhalt überzeugend formuliert wurde, nämlich eine Vielfarbigkeit, in der Töne unterschiedlicher Sättigung und Helligkeit in gleichwertiger Harmonie auf der Bildfläche erschienen.
Wie haben Sie die Eckpunkte des homogenen Farbraums festgelegt, wie definieren Sie Gegenfarben, Gleichabständigkeit, Farbkreis?
Was die Gleichabständigkeit angeht, hat man immer wieder behauptet, man könne sie nicht als durchgängiges Prinzip einer farbigen Ordnung gebrauchen. So ordnet Munsell nach Gleichmaß Helligkeiten und Chroma in gerade bewegten Stufungen, das tonale Gleichmaß aber in Rundordnung um die Neutralachse. Damit verliert er aber die Möglichkeit, auch gerade Verbindungen zwischen Farbbewegungen, die nicht die Grauachse schneiden, im Gleichmaß darzustellen. Diesem offenbaren Mangel kann abgeholfen werden, indem man die Stufungen auf den helligkeitsgleichen Ebenen in zwei Dimensionen vornimmt.
Das Prinzip des Farbkreises soll also aufgegeben werden?
Nicht wirklich. Es wird vielmehr auf eine allgemeinere Ebene gehoben. Auch bei dimensionaler Ordnungsstruktur gibt es gleichabständige umgebende Nachbarfarben, nun aber nicht nur rings um die Neutralachse, sondern um jeden beliebigen Farbton im Farbraum. Und anstelle der geraden Ausrichtung von gleichmäßig strukturierten Farbbewegungen nur durch die Neutralachse gibt es nun solche kreuz und quer in allen Richtungen des Farbraums.
Und Gegenfarben?
Nicht nur diametral bezüglich der Grauachse einander gegenüber liegende Kontraste bilden Gegenfarben, sondern alle über Zwischenfarben mit einander zu verbindende Farben sind diametrale Gegenfarben bezüglich deren Mittelwert.
Wie kann ein solches System praktisch realisiert werden?
Das beste Arbeitswerkzeug dafür ist unser Auge. Es ist nämlich fähig, sowohl Gleichmaß, wie auch Ausrichtung von Farben mit enormer Präzision zu erkennen.
Als gestalterisches Schema für den Aufbau des Homogenen Farbraums eignet sich die simple Komposition zweier nebeneinander liegender Felder in benachbarten Farben, deren Mittelwert in kleine Fensterchen in diesen Feldern eingetragen wird. Sie erscheinen dann wie die vertauschten Umfelder, vorausgesetzt, sie mitteln zwischen den Umfeldfarben auf exakt geradem Wege.
Das einfache Schema zur Gestaltung gerader Farbstufungen wird zu einem feldlichen Schema erweitert, in dem vier Farben gleichen Abstandes zu einander in ein Viereck aus Flächen mit Fensterchen gesetzt werden, deren Farbwerte kreuzweise wie die vertauschten Umfelder erscheinen, wenn sie die Mittelfarbe aller vier Farben enthalten. Aus solchen Bausteinen ist ein Farbraum mit überall einheitlicher, “homogener” Struktur zu bilden.
Als ich das erste Mal versuchte, ihn zu realisieren, wusste ich noch nicht, ob dies tatsächlich möglich ist. Inzwischen haben mich meine Versuche davon überzeugt, dass nicht nur ich dazu in der Lage bin, sondern dass es als Potenz im Menschen angelegt ist: Yes, we can!
Haben Sie ein Foto Ihres Ateliers?
Ein Foto im Atelier kann ich Ihnen leider nicht schicken. Selbst meine großen Ölbilder habe ich in unserer dicht mit Werken gefüllten Wohnung gemalt. Einmal fiel mir ein delikat gemaltes Kreuzbild, an dem ich nicht recht vorbeikam, um ins andere Zimmer zu wechseln und das bereits halb angetrocknet war, um, wodurch es eine nicht mehr auszubessernde Blessur erhielt, aber es war immer noch so schön, dass es später durch die evangelische Kirche für einen Bischof angekauft wurde. Man muss nicht gleich verzweifeln, wenn etwas daneben geht – passiert immer wieder. Es lässt sich auch mit einigen Flecken auf der Weste leben.
Vielen Dank für dieses Interview, Herr Minde.
Die Fragen stellte Holger Everding.
Weitere Informationen
…finden Sie unter http://www.farbkunst-minde.de.