Frage: Warum gibt es eigentlich hunderte Farbsysteme und -Kollektionen, wo doch jeder von uns nur eine Farbwahrnehmung hat?
Die aktuelle Situation in der Welt der Farbe ist vergleichbar mit der, dass es kein genormtes Metermaß, sondern hunderte Längenmaße verschiedenster Anbieter gäbe. Die heutige Vielfalt der Systeme ist keineswegs hilfreich, sondern mittelalterlich, denn sie macht bei der Arbeit ständige Farbsystemvergleiche nötig. Diese werden von den etablierten Farbkollektionen eher behindert als gefördert.
Größere Anbieter bezeichnen ihre Kollektionen gern als “global color communication” und schützen sie gleichzeitig vor Nachahmung und Vergleich. Manche Markenartikler reklamieren sogar ein Eigentum an einzelnen Farbtönen.
Die heutige Welt der Farbe könnte besser (=praktischer für uns Anwender und viel freier) sein, denn auf jedem Schreibtisch steht ein Computer, der freie Farbe nicht nur ermöglicht, sondern von Haus aus mitbringt!
Übliche Arbeit mit Farbe: umständlich
Als professioneller Farbanwender steht man laufend vor Farbsystemvergleichen: Welches ist die passende Klebefolie für eine Firmenfarbe, wie kann ich sie ins Internet, auf die Fassade oder in den Vierfarbdruck bringen, usw. Ebenso regelmäßig steht man vor Harmonie-Fragen: was passt zu meiner Ausgangsfarbe, wie stufe ich sie sinnvoll ab?
Die bekanntesten Herstellerkollektionen verbleiben mit ihren Antworten fast immer in ihrer jeweiligen Kollektion. Das ist kein Wunder, man soll ja keine anderen Farben anwenden.
Unfreiheit aus Urheberrecht
Mehrere Anbieter haben das Geschäftsmodell von Farbkollektionen. Hinter diesen Farbsystemen stecken keine Formeln, sie sind nicht berechenbar und dürfen dies auch nicht sein, um das Geschäftsmodell nicht zu gefährden. Berechnete Farbsysteme wie z.B. RGB oder CIELAB sind hingegen nicht schutzfähig und können sich daher ohne “Schutz” ungehindert verbreiten.
…any cross-referencing, in whole or in part, to any PANTONE Color system, including, but not limited to, the PANTONE numbers and PANTONE Colors, by third parties, may be a violation of PANTONE, Inc.’s proprietary rights and is strictly prohibited.
Pantone Fächer
Die RAL-Produkte und Dienstleistungen sind umfassend rechtlich geschützt. Die Darstellung der RAL-Farben geschieht ausschließlich auf der Grundlage der Freigabe und Genehmigung der RAL gGmbH. (…) Die Farbsammlung RAL CLASSIC sowie die übrigen RAL-Produkte sind urheberrechtlich geschützt. (…) Zum Schutz ihres geistigen Eigentums ist die RAL gGmbH gehalten, unautorisierte Nutzungen rechtlich zu verfolgen und zu unterbinden. Die Verletzung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten zieht nicht nur zivilrechtliche Folgen nach sich, sondern stellt auch eine Straftat dar.
RAL-K7 Farbfächer (Ausgabe 2020)
Unfreiheit aus Markenrecht
Es gibt in in Deutschland aktuell ca. 100 eingetragene Farbmarken. Beispiele: Beiersdorf-Blau (Pantone 280), Milka-Lila, Telekom-Magenta (RAL 4010). Diese Farben dürfen von keinem Wettbewerber für Konkurrenzprodukte verwendet werden. Siehe auch Wikipedia oder an anderer Stelle auf dieser Website:
- Die rote Sohle bei Louboutin-Schuhen und andere Farbmarken
- Wie schützt man Farbmarken? – ein Anwalt berichtet
- Auseinandersetzung zwischen Deutscher Telekom und Lemonade Versicherung
Unfreiheit in einer freien Gesellschaft
Durch fremdes Eigentum an einzelnen Farben und an den wichtigsten Farbkollektionen beschneiden wir unsere gestalterische und persönliche Freiheit. Anders ausgedrückt, lassen wir Unfreiheit in einem ganz elementaren persönlichen Bereich zu: in unserem Innersten.
Farben sind nach aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis vor allem Erlebnisse in uns – wie kann man nur auf die Idee kommen, diese “gehörten” jemand anderem? “Die Gedanken sind frei”, sagt ein altes Volkslied, hieran sollten wir uns erinnern, anstatt die Kommerzialisierung sogar auf unser Gefühlsleben auszudehnen.
Wohin soll das führen? Dass man eines Tages für Empfindungen bezahlen muss, weil andere ihnen mit massivem Medieneinsatz sogenannte “Verkehrsgeltung” verschafft haben? Dies ist bereits der Fall – wir haben es nur nicht bemerkt!
Was schlagen wir vor?
Aus unserer Sicht wäre ein Umdenken nötig: weg von den Hersteller-Kollektionen – hin zu berechneten Farben. Wir sollten uns einfach überall nach berechneten Farbmodellen richten, denn rein mathematisch ermittelte Farben sind Urheber- und Lizenz-frei.
Moderne Technik macht’s möglich. Im Computer sind berechnete Farben längst Realität, hier ist Farbe längst voll berechen- und vergleichbar. Fast jede Software ermöglicht eine freie Farbeingabe und Farbberechnnung, und in allen wichtigen Betriebssystemen ist das sog. “Farbmanagement” fest eingebaut.
Berechnete Farben sind auch berechenbar, im wörtlichen und umfassenden Sinn, und dies hat zahlreiche Vorteile in der Praxis. Versuchen Sie einmal, mit RAL- oder Pantone-Farben einen Helligkeitsverlauf herzustellen oder eine Gegenfarbe zu ermitteln. Mit mathematischen Farben ist das überhaupt kein Problem.
Welches mathematische Farbmodell ist das sinnvollste?
CMYK ist zwar in der Druckvorstufe verbreitet, ist aber vom verfügbaren Farbbereich zu sehr eingeschränkt, um als sinnvolles allgemeines Modell gelten zu können. sRGB ist in jedem Computerprogramm enthalten, es kann also überall sofort genutzt werden, verfügt aber ebenfalls nur über einen eingeschränkten Farbraum und ist als technische Definition nur wenig wahrnehmungsgerecht.
CIELAB ist heute in der Farbmessung üblich und dank wahrnehmungsgerechter Definition, Geräteunabhängigkeit und keinerlei Gamutbeschränkung das bessere Modell. Hinter der CIELAB-Farbdefinition steckt kein kein millionenschwerer Marketing-Etat, trotzdem hat es sich in der Farbmessung durchgesetzt. Es ist auch seit mehreren Jahrzehnten in die üblichen Computer-Betriebssysteme integriert. Trotzdem führt es in der breiten Öffentlichkeit noch immer ein Schattendasein. Wir möchten CIELAB aufgrund der Vorteile zum Durchbruch verhelfen.
CIELAB hat aber auch Schwächen. Es ist der Berechnungsversuch von Farbe als Wahrnehmungsqualität, die in uns statt findet. Hierbei werden Annahmen über unsere Farbwahrnehmung stark vereinfacht (z.B. der sogenannte “CIE-Normalbeobachter” als für alle Menschen gleich festgelegte mathematische Kurve). Zweitens gilt ein CIELAB-Farbwert immer nur unter bestimmten normierten Lichtbedingungen (D50, D65,..).
Noch sinnvoller als CIELAB wäre die breite Durchsetzung der eigentlichen Farb-Urdaten. Dies sind die Spektralkurven des in unser Auge einfallenden Lichts. CMYK, RGB, CIELAB usw lässt sich hieraus berechnen, je besser das betreffende Modell ist, umso besser (wahrnehmungsgerechter). Es wäre daher sinnvoll, wenn Spektraldaten nicht nur in einzelne Programme, sondern in die Computer-Betriebssysteme Eingang fänden. Dies ist aber Zukunftsmusik, es existieren derzeit nur wenige Ansätze in Software. Aber in 20 Jahren…?
Freie Farbe für alle!
Nach welchem Verfahren sie auch berechnet werden – die Vorteile freier Farbe sind riesig. Und noch etwas…
Der technische Fortschritt bei Druckverfahren macht es heute möglich, dass beliebige Farbmuster mit einer Genauigkeit hergestellt werden können, die den Lackmustern etablierter Hersteller kaum nachsteht. Der Aufwand des sogenannten Proofdrucks ist weit geringer – so wird Farbe erschwinglich für die breite Masse – freieFarbe!
Bei den etablierten Herstellern steht der Freiheit der preiswerten Vervielfältigung das Copyright im Wege (siehe oben) – nicht aber bei mathematischer Farbe.
Eine Marktlücke
Nein – viele! Für sRGB, HSB und CIELAB, CIELCh, CIELuv usw gab es bisher keine Farbmuster, die professionellen Ansprüchen genügen. Auch Rezepturen für Druck-, Lack-, Fassaden-, Kunststoff- und Textilfarbe sind nicht verfügbar. Es gibt RGB und CIELAB zwar im Computer, aber im “echten Leben” nur in unzureichender Form. Ebenso wenig gibt es eine brauchbare App oder Software, mit der man beliebige Farben in hoher Qualität auswählen berechnen, zeigen, abwandeln, selbst drucken, harmonisieren, vergleichen,… kann. Dies am besten mit Schnittstelle zur Farbmischstation im nächsten Baumarkt und mit direkter Integration in das eigene Gestaltungsprogramm.
Es gibt viel zu tun. Wenn man einmal darüber nachdenkt, fallen eine unglaublich viele auch kommerziell Erfolg versprechende Möglichkeiten ein. Wir möchten dazu beitragen, diese Marktlücken zu füllen, und möchten Dritte hierbei unterstützen.
Holger Everding